Technizität

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Technizität ist ein hauptsächlich in der Rechtssprache im Zusammenhang mit Patenten verwendeter Begriff. Neben Neuheit, erfinderischer Tätigkeit und gewerblicher Anwendbarkeit ist der technische Charakter einer Patentanmeldung eine weitere grundlegende Voraussetzung für deren Patentierung.

Der „technische Charakter“ wird schon lange als Kriterium zur Trennung von patentfähigen Innovationen zu nicht patentfähigen Innovationen zur Begründung verwendet. Beispielsweise der Darstellung von lesbaren Daten wurde regelmäßig Technizität bescheinigt,[1] selbst wenn dies mit Stift und Papier geschieht.[2]

Das Technizitätserfordernis folgt implizit aus:

  • § 1 Abs. 1 PatG, welcher Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik bestimmt,
  • § 3 PatG, welcher Erfindungen mit dem Stand der Technik vergleicht
  • § 4 PatG, welcher Erfindungen mit dem Stand der Technik in Beziehung setzt
  • § 26 Abs. 2 und 3 PatG, welcher technische Mitglieder des DPMA fordert
  • § 27 PatG, welcher die Obliegenheiten der Prüfungsstelle einem technischen Mitglied zuschreibt
  • § 29 Abs. 2 PatG, welcher dem Patentamt eine Dokumentation des Standes der Technik aufträgt
  • § 34 Abs. 7 PatG, welcher die Angabe des relevanten Standes der Technik in der Beschreibung fordert
  • § 43 Abs. 1 PatG, welcher für die Beurteilung der Patentfähigkeit nur die Ermittlung von Druckschriften für Sachgebiete der Technik bestimmt

Der Bundesgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit der Bestimmung des Begriffs der Technik versucht:

„Technisch ist eine Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs.“

BGH: Rote Taube 1969[3]

„... als patentierbar anzusehen [ist] eine Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges.“

BGH: Dispositionsprogramm 1977[4]

„Der Begriff der technischen Erfindung läßt sich dahin formulieren, daß darunter die planmäßige Benutzung beherrschbarer Naturkräfte außerhalb der menschlichen Verstandestätigkeit zur unmittelbaren Herbeiführung eines kausal übersehbaren Erfolges zu verstehen ist.“

BGH: Walzstabteilung 1980[5]

„Wenn eine Lehre für ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen durch eine Erkenntnis geprägt ist, die auf technischen Überlegungen beruht, ist mithin ein auch anderweit akzeptiertes und eine einheitliche Patentrechtspraxis für Europa förderndes Abgrenzungskriterium gegeben, das die Feststellung des erforderlichen technischen Charakters einer Lehre für ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen erlaubt.“

BGH: Logikverifikation 2000[6]

Diese Technikbegriff ist nicht statisch, sondern Modifikationen zugänglich, sofern die technologische Entwicklung und ein daran angepasster effektiver Patentschutz dies erfordern.

Eine vergleichbare Spezifikation wurde von den Beschwerdekammern des EPA bislang nicht gegeben.[7] Indessen erklärte die große Beschwerdekammer des EPA in ihrer Entscheidung G1/08[8], dass der Standard aus der BGH Entscheidung Rote Taube aus dem Jahr 1969[3] mit dem Begriff Erfindung aus dem europäischen Patentübereinkommen konform sei.

Der Rechtsausschuss des Europaparlaments formulierte:

„Bei dieser Sachlage erschien uns die Formulierung „eine neue Lehre zum Einsatz beherrschbarer Naturkräfte unter Steuerung durch ein Computerprogramm und unabhängig von den für den Ablauf des Programms notwendigen technischen Mitteln ist technisch,“ als die umfassendste und gleichzeitig die eindeutigste zur Definition dessen, was technisch ist.“

Michel Rocard: CII Entwurf 2005[9]

Historische Auslegung

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Als das EPÜ den Ausschlusskatalog mit dem Ausschluss von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen festlegte, waren die hauptsächlichsten Nutzer von Datenverarbeitungsanlagen der Telekommunikationsmonopolist AT&T, das US-Militär und die Banken.

Das EPÜ folgte damit der Entscheidung von IBM, von 1969[10], Software als eigenständiges Wirtschaftsgut von der Hardware getrennt zu vermarkten[11] und statt Patenten Copyright iVm. Nutzungslizenzen.[12] für den Eigentumsschutz vorzusehen. Im Wortlaut folgte der Ausschlusskatalog im Wesentlichen dem französischen Vorbild Loi n°68-1 Article 7 von 1968[13]. Eine Unterscheidung von Programmen für Telekommunikation,[14] Dienstprogrammen[15], Industrieautomation[16][17] oder Börsentransaktionen[18] wurde im EPÜ nicht getroffen.

Die Technizitätsdebatte um Software startete das BGH-Urteil Dispositionsprogramm[19] mit seiner Aussage „Denn der Begriff der Technik erscheint auch sachlich als das einzig brauchbare Abgrenzungskriterium gegenüber andersartigen geistigen Leistungen des Menschen, für die ein Patentschutz weder vorgesehen noch geeignet ist“. Die Begründung bezog sich auf die Definition des Begriffs der Technik aus der Entscheidung „Rote Taube“ von 1969, bei dem es um die Wiederholbarkeit (jetzt § 34 Abs. 4 PatG) ging. Als patentierbar bezeichnet wurde: „eine Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges“.

1985 wurden in Deutschland zunächst nur Programme für die Datenverarbeitung in § 2 UrhG den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst zugeordnet, in Frankreich mit Loi n° 85-660[20] alle logiciel. 1991 wurde mit der Richtlinie 91/250/EWG ausnahmslos alle Computerprogramme dem urheberrechtlichen Schutz unterstellt. Frankreich ratifizierte diese Richtlinie 1992 im Loi n° 92-597 partie I,[21] Deutschland 1993 mit den §§ 69a-g UrhG. In BGH „Betriebssystem“[22] wurde für die Zeit vor dieser Urheberrechtsnovelle festgestellt: „Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 PatG sind „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ als solche nicht als Erfindungen anzusehen. Damit sind alle Computerprogramme nicht technischer Natur vom Patentschutz ausgenommen. Dies gilt allerdings nicht für Programme technischer Natur. Betriebssysteme der vorliegenden Art, die lediglich der Steuerung eines Computers und der mit ihm verbundenen Anschlußgeräte dienen, stellen keine technischen Programme in diesem Sinne dar“.

Erst seit der Entscheidung Suche fehlerhafter Zeichenketten unterscheidet der zehnte Senat des Bundesgerichtshof explizit zwischen dem Erfordernis der Technizität nach § 1 Abs. 1 PatG und dem Ausschlusskatalog nach § 1 Abs. 3 und 4 PatG, was er in den Entscheidungen elektronischer Zahlungsverkehr, Rentabilitätsermittlung und Anbieten interaktive Hilfe bestätigt hat. Für die Patentfähigkeit fordert der BGH aber weiter technische Mittel zur Lösung eines konkreten technischen Problems.

Die Bedeutung der Technizität zur alleinigen Trennung von nichtpatentierbaren und patentierbaren Innovationen wird seit der Debatte um computerimplementierte Erfindungen bei Computerprogrammen zunehmend in Frage gestellt. So bezeichnet die CFPH-Entscheidung der Royal Courts of Justice[23] den Begriff „technisch“ als „nützlichen Diener aber gefährlichen Meister“. Auch Melullis nennt das „Ausweichen auf die Diskussion des Technikbegriffes wenig hilfreich, weil hier die Auseinandersetzung um einen wenig klaren Begriff wie der Software als solcher auf einen anderen ebenso wenig eindeutig definierten und gewolltermaßen einer dynamischen Entwicklung unterworfenen Begriff wie den der Technik verlagert wird, der dann zusätzlich wegen der notwendigen Abgrenzung von dem nicht so technischen Gehalt weiter an Kontur verliert“.[24]

Das TRIPS-Abkommen fordert Patentierbarkeit „auf allen Gebieten der Technik“ (art. 27 Abs. 1). Gelegentlich wird das aufgefasst als Technizitätserfordernis, aber die Absicht im TRIPS Rahmen war nicht die Patentierbarkeit zu Technik zu beschränken, sondern die Patentierbarkeit zu erweitern zu allen Gebieten der Technik – insbesondere damals Arzneimittel. Im Rahmen von Art. 52(1) EPÜ sollten dieselben Worten allerdings die Patentierbarkeit zu Technik beschränken (wie auch § 1 PatG seit 2008).

Das Alleinstellungsmerkmal der Technik von der Dispositionsprogrammentscheidung als Argument für die grenzenlose Patentierbarkeit ist seither nach deutscher Rechtsprechung deutlich eingeschränkt.

Systematische Auslegung

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In Dispositionsprogramm wurde aber an gleicher Stelle festgeschrieben: „Das System des deutschen gewerblichen und Urheberrechtsschutzes beruht aber wesentlich darauf, dass für bestimmte Arten geistiger Leistungen je unterschiedliche, ihnen besonders angepasste Schutzbestimmungen gelten und dass Überschneidungen zwischen diesen verschiedenen Leistungsschutzrechten nach Möglichkeit ausgeschlossen sein sollen. Das Patentgesetz ist auch nicht als ein Auffangbecken gedacht, in welchem alle etwa sonst nicht gesetzlich begünstigten geistigen Leistungen Schutz finden sollen.“, welche gesetzliche Bestimmtheit auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fordert. Als Dispositionsprogramm entschieden wurde, trat der Ausschlusskatalog des EPÜ national gerade in Kraft. Urheberrechtsschutz von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen hatte sich zwar etabliert, wurde aber erst neun Jahre später mit § 2 UrhG gesetzlich bestimmt. Eine Unterscheidung zwischen technischen und nicht-technischen Programmen war nicht vorgesehen. Auch die EU-Richtlinien 91/250/EWG und 96/9/EG zum Rechtsschutz von Computerprogrammen und Datenbanken unterscheiden an keiner Stelle zwischen technischen und nicht-technischen Programmen bzw. Daten.

TRIPS als auch WCT definieren vielmehr alle Programme als „Sprachwerke“ gemäß der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, dessen normale wirtschaftliche Verwertung nicht wesentlich eingeschränkt werden darf. BGH Gies-Adler[25] stellt dazu klar: „Das Urheberrechtsgesetz regelt die aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse und ihre Beschränkungen grundsätzlich abschließend.“ Daraus kann geschlossen werden, dass Patentschutz ohne gesetzliche Bestimmung die wirtschaftlichen Verwertungsrechte der Urheber von Computerprogrammen nicht einschränken darf, wenn solche Urheberrechte nach § 69a UrhG bestehen.[26][27] Unterschiede in der Schutzbestimmung nach der Technizität der Computerprogramme oder ihrer Daten sind gesetzlich nicht zu erkennen.

  • Henning Behme: Technischer Beitrag. In: iX. Nr. 10, 2002, S. 3 (heise.de [abgerufen am 9. April 2010]).

Einzelnachweise

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  1. BGH „Typensatz“ Ia ZB 10/64 vom 23. März 1965; BGH „Kennungsscheibe“ X ZB 10/74 vom 1. Juli 1976; BGH „Aufzeichnungsträger“ X ZR 188/01 vom 19. Mai 2005.
  2. Technische Beschwerdekammer „Hitachi“ T_0258/03 - 3.5.1, S. 6, Absatz 4.6 Archivierte Kopie (Memento vom 30. August 2008 im Internet Archive) T_0531/03 - 3.4.3, S. 17 Absatz 2.5 Archivierte Kopie (Memento vom 28. August 2008 im Internet Archive) T_0388/04 - 3.5.02, S. 6 Archivierte Kopie (Memento vom 20. Juli 2008 im Internet Archive)
  3. a b BGH, Beschluss vom 27. März 1969, Az. X ZB 15/67, Volltext.
  4. BGH, Beschluss vom 22. Juni 1976, Az. X ZB 23/74, Volltext.
  5. BGH, Beschluss vom 16. September 1980, Az. X ZB 6/80, Volltext.
  6. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 1999, Az. X ZB 11/98, Volltext.
  7. Tauchert Zum Begriff der „technischen Erfindung“, JurPC Web-Dok. 28/2002, Abs. 17.
  8. Entscheidung der großen Beschwerdekammer vom 9. Dezember 2010 G 1/08. Abgerufen am 21. November 2018. Ground 6.4.2.1.
  9. http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/documents/pr/565/565497/565497de.pdf ENTWURF EINER EMPFEHLUNG FÜR DIE ZWEITE LESUNG betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen (11979/1/2004 – C6-0058/2005 – 2002/0047(COD))
  10. B. Grad: A personal recollection: IBM’s unbundling of software and services IEEE Annals of the History of Computing, Band 24, Nr. 1, Jan.–März 2002, S. 64–71 doi:10.1109/85.988583
  11. T. Haigh: „Software in the 1960s as concept, service, and product“ IEEE Annals of the History of Computing, Bd. 24 Nr. 1, Jan.-März 2002, S. 5–13 doi:10.1109/85.988574
  12. W. S. Humphrey: Software unbundling: a personal perspective IEEE Annals of the History of Computing, Band 24, Nr. 1, Jan–März 2002, S. 59–63 doi:10.1109/85.988582
  13. Loi n°68-1 du 2 janvier 1968 sur les brevets d'invention. (gouv.fr [abgerufen am 20. Mai 2009]).
  14. L. Tuomenoksa, W. Ulrich: „Problems of Programming for Shared Real-Time Systems“ IEEE Trans. on Comm. Bd. 15 Nr. 1, S. 5–10 http://ieeexplore.ieee.org/xpls/abs_all.jsp?arnumber=1089543
  15. M. Campbell-Kelly: „Think piece“ IEEE Annals of the History of Computing, Bd. 24 Nr. 1, Jan.-März 2002, S. 87–88 doi:10.1109/MAHC.2002.988588
  16. T. M. Stout, T. J. Williams: „Pioneering work in the field of computer process control“ IEEE Annals of the History of Computing, Bd. 17 Nr. 1, 1995, S. 6–18 doi:10.1109/85.366507
  17. G. C. Border: Digital computer based data acquisition and control software packages. IEEE Conference Electrical Engineering Problems in the Rubber and Plastics Industries,30. April-1 Mai 1990, S. 29–31. doi:10.1109/RAPCON.1990.66465
  18. L. Johnson: Creating the software industry-recollections of software companyfounders of the 1960s. IEEE Annals of the History of Computing, Bd. 24, Nr. 1, Jan 2002, S. 14–42 doi:10.1109/85.988576
  19. G. Kolle: Technik, Datenverarbeitung und Patentrecht -- Bemerkungen zur Dispositionsprogramm - Entscheidung des Bundesgerichtshofs. 1977 Archivierte Kopie (Memento vom 16. April 2004 im Internet Archive)
  20. Loi n° 85-660 du 3 juillet 1985 relative aux droits d'auteur et aux droits des artistes-interprètes, des producteurs de phonogrammes et de vidéogrammes et des entreprises de communication audiovisuelle.
  21. Loi no 92-597 du 1er juillet 1992 modifiée relative à la partie législative du Code de la propriété intellectuelle (Memento vom 30. März 2009 im Internet Archive)
  22. BGH „Betriebssystem“ I ZR 139/89 in JurPC 1991 Heft 1 (Memento vom 9. Mai 2012 im Internet Archive), S. 888–896.
  23. Entscheidung CFPH der Royal Courts of Justice http://www.softwarepatentnews.de/pdf/ch2005app0009.pdf
  24. K.-J. Melullis: Einige ausgewählte Probleme des Patentrechts aus deutscher Sicht. ABl EPA Sonderausgabe 2, S. 184ff http://www.european-patent-office.org/epo/pubs/oj007/04_07/special_edition_2_judges_symposium.pdf
  25. BGH I ZR 117/00 vom 20. März 2003 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=26996&Frame=1
  26. Gerhard Schricker: Urheberrecht : Kommentar. 3. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-53783-9, Vor §§ 44a ff Rdnr 14a mwN.
  27. Thomas Dreier, Gernot Schulze: Urheberrechtsgesetz : Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, Kunsturhebergesetz ; Kommentar. 2. Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54195-X, Vor §§ 44a ff Rdnr 7 mwN