Urbain Grandier

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Urbain Grandier, Holzschnitt von 1627

Urbain Grandier (* 1590 in Bouère (Département Mayenne); † 18. August 1634 in Loudun) war ein französischer katholischer Priester, der in der Angelegenheit um die sogenannten Teufel von Loudun wegen Hexerei verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

Grandier war Priester in der Kirche Sainte Croix in Loudun im Bistum Poitiers. Er scheint eine Reihe von sexuellen und romantischen Beziehungen zu Frauen gehabt und den Ruf eines Frauenhelden erworben zu haben. 1632 beschuldigte ihn eine Gruppe von Nonnen aus dem lokalen Konvent der Ursulinen, sie verhext zu haben, indem er ihnen den Dämon Asmodäus und andere sandte, um mit ihnen böse und schamlose Taten zu begehen. Nach modernen Kommentatoren des Falls habe Grandier sich zuvor geweigert, der geistliche Leiter des Konvents zu werden. Dies ohne zu wissen, dass die Mutter Oberin, Schwester Jeanne des Anges, von ihm besessen sei, nachdem sie ihn von weitem gesehen, von seinen sexuellen Taten gehört und daraufhin den Kanoniker Jean Mignon, einen Gegner Grandiers, gebeten haben soll, die geistliche Leitung zu übernehmen. Jeanne beschuldigte Grandier, sie mittels Schwarzer Magie verführt zu haben; andere Nonnen begannen nach und nach, ähnliche Vorwürfe zu erheben. Moderne Wissenschaftler erklären die Vorgänge als einen Fall von Massenhysterie. Grandier wurde verhaftet, von einem kirchlichen Tribunal befragt und überprüft, am Ende aber freigesprochen.

Pakt auf Latein, rückwärts zu lesen

Grandier hatte sich jedoch durch eine öffentliche verbale Attacke auch die Feindschaft des mächtigen Kardinals Richelieu erworben, der nun ein neues Verfahren anordnete, das von einem von ihm ernannten Vertreter geleitet werden sollte: Jean de Laubardemont, ein Verwandter von Des Anges. Grandier wurde 1633 in Angers erneut verhaftet; die Möglichkeit, sich an das Parlement in Paris als Appellationsgericht zu wenden, wurde ihm verweigert. Bei der zweiten Befragung erneuerten die Nonnen und ihre Oberin die Vorwürfe nicht, was aber das bereits festgelegte Urteil nicht mehr beeinflusste.

Die Richter (die Kleriker Laubardemont, Lactance und Tranquille) ließen Grandier mit Beinschrauben foltern, führten Dokumente in den Prozess ein, die angeblich von Grandier und verschiedenen Dämonen unterzeichnet waren und den Teufelspakt beweisen sollten. Ein Dokument war auf Latein und schien von Grandier unterzeichnet zu sein, ein weiteres fast unlesbar, mit vielen absonderlichen Symbolen versehen und von mehreren Dämonen mit ihren Siegeln „unterzeichnet“, darunter auch Satan selbst (bei einer Unterschrift ist deutlich Satanas zu lesen). Es ist unbekannt, ob Grandier die Dokumente unter Zwang schrieb und unterzeichnete oder ob sie vollständig gefälscht sind.

Grandier wurde schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Die Richter ordneten an, dass er der „außergewöhnlichen Befragung“ unterworfen werden sollte, einer Form der Wasserfolter, die normalerweise mit Verzögerung zum Tode führte und die nur bei solchen Opfern angewandt wurde, die ohnehin unmittelbar danach hingerichtet wurden. Auch unter dieser Folter gestand Grandier nicht. Er wurde 1634 lebend auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Urbain Grandier in der Kunst (Die Teufel von Loudun)

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Voltaire führt Grandiers Hinrichtung als Hexer als Beleg für das Vorherrschen des Aberglaubens an, der vor der Epoche der Aufklärung die politischen Geschäfte Frankreichs stark beeinflusst habe.[1] Grandiers Gerichtsverhandlung war Thema zweier Bearbeitungen von Alexandre Dumas dem Älteren: einmal in Band 4 seiner Crimes Célèbres (1840), zum anderen in dem Schauspiel Urbain Grandier (1850). 1843 erschien der Roman Urban Grandier oder die Besessenen von Loudun von Willibald Alexis. Das gleiche Thema behandelte ein Jahrhundert später Aldous Huxley in seinem umfangreichen Essay The Devils of Loudun (erschienen 1952). Huxleys Text wurde 1969 als Die Teufel von Loudun von Krzysztof Penderecki in einer Oper verarbeitet, Ken Russell drehte dazu 1971 den Film Die Teufel (The Devils). Der vom Schweden Eyvind Johnson geschriebene Roman Träume von Rosen und Feuer (erschienen 1949) behandelt ebenfalls Grandiers Schicksal.

Dokumente
  • Véritable relation des justes procédures observées au fait de la possession des Ursulines de Loudun, et au procès d’Urbain Grandier, avec les thèses générales, touchant les diables exorcisés; par le père Tranquille, capucin. La Flèche 1634.
  • La Démonomanie de Loudun, qui montre la véritable possession des religieuses Ursulines et autres séculières, avec la liste des religieuses et séculières possédées, obsédées et maléficiées, le nom de leurs démons, le lieu de leur résidence et signe de leur sortie. La mort de Grandier, auteur de leur possession. La Flèche, 1634.
  • Récit Véritable de ce qui s’est passé à Loudun. Contre Maistre Urbain Grandier, Prestre Curé de l’Eglise de S. Pierre de Loudun, attaint & convaincu du crime de Magie, malefice & posseßion arrivée par son faict és personnes d’aucunes des Religieuses Urselines de la ville de Loudun. Imprimerie de Pierre Targa, Paris 1634.
  • La gloire de Saint-Joseph, victorieux des principaux démons de la possessions des Ursulines de Loudun; où se voit particulièrement ce qui arriva le jour des Rois 1636, en la sortie d’Ysacazon du corps de la mère prieure; par les RR. PP. exorcistes de Loudun, Le Mans 1636.
Abhandlungen
  • Nicolas Aubin: Histoire des Diables de Loudun, ou de la possession des Religieuses Ursulines, et de la condamnation & du suplice d’Urbain Grandier, Cure de la mème Ville. Cruels effets de la vengeance de Richelieu. 1693, Etienne Roger, Amsterdam 1716; aux dépens de la compagnie, Paris 1752.
    • Geschichte der Teuffel zu Lodün / Oder Von den besessenen Nonnen des Closters zu St. Ursul / wie auch Von der Berurtheilung und Straffe Urban Grandiers / Predigers in derselben Stadt. In: Fernerer Unfug der Zauberey. Aus gelahrter Leute Schrifften abermahls gezeigt und heraus gegeben von Johann Reichen. Halle 1704, S. 273–544 (Digitalisat bei Google Books).
    • Geschichte der Teufel von Loudun oder der Besessenheit der Ursulinen und von der Verdammung und Bestrafung von Urbain Grandier, Pfarrer derselben Stadt (= Materialien zum Phänomen des „Bösen“, Band 1). Birkenau/Scheden, Emig/Gauke, o. J.
  • Augustin Calmet: Gelehrte Verhandlung der Materie von den Erscheinungen der Geister, und der Vampire in Ungarn und Mähren. Matthäus Rieger, Augsburg 1751, S. 182–202 (Digitalisat bei Google Books).
  • Michel de Certeau: La possession de Loudun, 1970 (Neuauflage bei Éditions Gallimard in der Sammlung Folio Histoire, 2005).
  • Alexandre Dumas et al.: Urbain Grandier. In: Crimes célèbres, Bd. 4. Administration de Librairie, Paris 1842 (Digitalisat bei Google Books).
    • Anonyme dt. Übersetzung ohne Nennung des Autors: Urbain Grandier, katholischer Priester, der Hexerei angeklagt. Otto Wigand, Leipzig 1855 (Digitalisat bei Google Books).
    • dt.: Historische Kriminalfälle. 19. Urbain Grandier. [Deutsch von Walter Brendel.] Das historische Buch, o. O. 2021 (Buchvorschau bei Google Books).
  • Aldous Huxley: The Devils of Loudun. Chatto & Windus, London 1952.
  • Gabriel Legué: Urbain Grandier et les possédées de Loudun. Documents inédits de M. Charles Barbier. Librairie D’Art de Ludovic Baschet, Paris 1880 / Charpentier, Paris 1884.
  • Rosa Schudel-Benz[2]: Die Besessenen von Loudun. Ein Prozeß aus der Zeit Richelieus. Beck, München 1927 (Stern und Unstern. Eine Sammlung merkwürdiger Schicksale und Abenteuer, 9. Buch).
Memoiren der Jeanne des Anges (Madame de Beclier)
Belletristik
  • Willibald Alexis: Urban Grandier oder die Besessenen von Loudun. 2 Bde. Buchhandlung des Berliner Lesekabinetts, Berlin 1843 (Digitalisat bei Google Books).
  • Alexandre Dumas, Auguste Maquet: Urbain Grandier. Drame en cinq actes et treize tableaux, dont un prologue (Drama in fünf Akten und dreizehn Szenen, einschließlich eines Prologs). Lelong, Brüssel 1852 (Digitalisat bei Google Books).
  • Eyvind Johnson: Drömmar om rosor och eld. Stockholm 1949.
    • dt.: Träume von Rosen und Feuer. Deutsch von Walter Lindenthal. Claassen Verlag, Hamburg 1952.

Oper

Anderes

Film und Fernsehfilm

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Einzelnachweise

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  1. « On s’indigne que le ministre et les juges aient eu la faiblesse de croire aux diables de Loudun, ou la barbarie d’avoir fait périr un innocent dans les flammes », Voltaire: Le Siècle de Louis XIV. Édition établie et annotée par René Pomeau et revue par Nicholas Cronk. Édtion Gallimard, Paris 2015, S. 59.
  2. Rosa Schudel-Benz (1890–1942) publizierte zahlreiche historische Arbeiten und führte von 1927 bis 1942 ihre Privatschule am Zeltweg. Zitiert nach: V. Bodmer-Gessner: Bekannte Zürcher Lehrerinnen. In: Schweizerische Lehrerinnenzeitung, Heft 7–8/1977, S. 201.