Benutzerin:Andrea014/Das Schwerste im Leben

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

... für Menschen, die sich entwickeln wollen, ist: auf lieb gewordene Überzeugungen zu verzichten!

Dies ist kein Artikel!
Es ist, was mir durch den Sinn geht, wenn ich die Entwicklung von Feindbildern und kriegerischen Auseinandersetzungen in der WP sehe.


--Andrea014 (Diskussion) 14:57, 3. Okt. 2016 (CEST)

Wer, was ja nicht sein muss, in Tiefe verstehen mag, was ich nun sagen möchte, wird es nach der Lektüre des Buches Gestillt mit Tränen – Vergiftet mit Milch[1] leichter haben. Es bildet das Fundament, auf dem meine Bemerkungen stehen und aus dem ich am Ende ein längeres Zitat einfüge. Die Nazareth-Konferenzen schaffen die dazugehörige Umgebung.

Es konnte doch nicht wahr sein, dass ich an einem schon lange vergangenen Tag mit dem Text des so traurig-schönen Liedes The Day the Music Died beschäftigt war und am selben Tag liebwerte Kollegen aufeinander los gingen und sich dabei auf machten, sie sterben zu lassen!

Ich habe es unzählige Male erlebt: Sprechen wir über Depression, legt sich eine bleierne Schwere über uns. Sprechen wir über Witze, werden wir vergnügt. Reden wir über Aggression, weckt das unsere Angriffslust. Geht es um den Narzissmus, beginnen wir, uns wie ein Pfau zu spreizen. Beschäftigen wir uns mit dem Zwang, verscheuchen wir die Fusseln vom Ärmel. All das nicht immer und bei jedem, aber es geschieht fast regelhaft. Was will ich damit sagen? Das Thema, mit dem wir befasst sind, nimmt Einfluss auf unsere Verfassung & Gestimmtheit, auf unsere Gefühle & unser Verhalten – und umgekehrt: Was wir erlebt haben, unsere Verfassung, Gestimmtheit, Gefühle etc. nehmen Einfluss auf die Gestaltung des Themas, mit dem wir uns befassen.

Wenn wir nun aber ein Thema aufrufen, das – wenn auch nur ganz versteckt oder ggf. auch, ohne dass wir es bemerken würden oder gar wissen könnten – mit der Frage zu tun hat, wer leben durfte und wer nicht, könnte es geschehen, dass das Einfluss auf die Gestaltung des Themas nimmt. Und wenn wir Pech haben, geht es dann schnell ganz im Hier & Jetzt ums Überleben – in unserer inneren oder, wenn es schlimm kommt, in der virtuellen Welt (z. B. der WP) und, wenn es ganz schlimm kommt, in der materiellen Welt.

Vorsicht: Falle

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Manchmal geraten wir, ohne es zu wollen, und zuweilen auch, ohne es zunächst zu merken, in eine Falle. Mitunter werden wir dort hineingeworfen durch unsere Herkunft, unsere Familien, durch die Geschichte in unserem Land und was wir oder unsere Vorfahren damals erleben mussten. Und, wie mir scheint, sind es nicht wenige in der deWP, die zuweilen und bei dem ein oder anderen Thema in einer solchen Falle sitzen.

Wenn es zum Beispiel um das deutsch-jüdische Verhältnis geht (u. a. im sog. Kreuzstreit), ist zugleich, ob wir wollen oder nicht, ob es uns bewusst ist oder nicht, die Shoa und damit die Frage von Leben & Tod aufgerufen. So etwas ändert ggf. alles, und fast systematisch die Phantasien und Gefühle, die damit assoziiert sind. Diese Phantasien & Gefühle bemerken wir oder eben nicht. Sie sitzen nicht zwangsläufig an Stellen, die uns schnell zugänglich sind. Und sie sind durch Ereignisse gespeist, die wir schwer ertragen können – verschiedener Art natürlich, je nach Seite, auf der wir stehen. Darunter – und ich weiß nicht, wie tief vergraben – wird der ganze Bedeutungshof mit heraufgespült, der sich um die Geschichte rankt, die wir selbst erlebt oder von den Vorfahren in der ein oder anderen Weise erfahren haben. Oft wurde derlei stumm an die nächste Generation weitergegeben.

Wer nun in solchen Zusammenhängen eine harsche Kritik oder Zurückweisung erfährt, könnte schnell mit der Tatsache konfrontiert sein, dass die Frage nach Leben & Tod auf die Tagesordnung geraten ist – in der Regel, ohne dass das jemand wollte. Für das deutsch-jüdische Verhältnis liest man dann zwischen den Zeilen schnell „Juden raus!“ auf der einen oder „Du Nazi!“ auf der anderen Seite.

Wer daran etwas ändern will, hat Schwerstarbeit vor sich. Es gilt nämlich, Phantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden! Das klingt leichter, als es an bestimmten Stellen ist. Viele hier in der deWP sind klug genug, einen Schritt beiseite zu tun und dann zu erkennen, das sich das geschriebene Wort – also die Kritik oder Zurückweisung – durchaus von unserem Erleben dabei unterscheidet: zu erkennen, dass in Wirklichkeit niemand „Juden raus!“ oder „Du Nazi!“ gerufen hat und niemand irgend jemanden umgebracht hat oder daran auch nur im Entferntesten dachte. Ich wäre froh, wenn es uns allen hier immer wieder gelänge, diesen Schritt beiseite zu tun. Leider, so will mir scheinen, ist es nicht immer so.

Phantasien, ob bewusst oder unbewusst, können ziemlich böse Impulse auf den Plan rufen. Manchmal so heftig, dass es ist, als würden wir daran ersticken. Um wieder Luft zu bekommen, werden sie dann nicht selten ausgespuckt. Dann aber ist die Atmosphäre in einer Diskussion vergiftet. Wir könnten versuchen, uns daran nicht zu beteiligen. Die Impulse könnten wir nämlich zähmen. Das geht, wenn wir der Phantasien gewahr werden. Das aber macht nicht wirklich Spaß! Und könnte doch so nützlich für die Gestaltung unserer Beziehungen zueinander sein.

Wenn wir uns die Wirklichkeit in der WP anschauen, werden wir feststellen, dass meistens, auch wenn es sich so anfühlen mag, keine Katastrophe stattgefunden hat! Alle Beteiligten sind am Leben! Alle! Einer hat eine Gemeinheit einstecken müssen und ein Anderer hat sich dafür mit einer Gemeinheit gerächt. Etwas platt könnte man sagen: Die beiden sind quitt. Teil der Wirklichkeit ist auch: So sehr wir es uns manchmal wünschen würden, niemand kann hier zaubern. Was keiner, der nicht sehr genau hinschaut, oft ahnen konnte, war: welcher Bedeutungshof eröffnet war, was für die Beteiligten am Inhalt des Streites hing. Das wird ja oft beklagt: Es möge genau hingeschaut werden! Zu diesem Zeitpunkt aber sind die Beteiligten oft schon tief verletzt.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass oft genug Kollegen, die auf einmal tief entzweit sind, nicht geahnt haben, was sie ihrem Gegenüber angetan haben, weil sie nicht wussten, auf welchen Bedeutungshof eine Äußerung bei dem Kollegen trifft. Manchmal fühlt sich eben eine Gemeinheit wie eine Katastrophe an. Und das evoziert in der Regel heftigste Reaktionen. Und so kommt es, wenn unsere deutsche Geschichte im Raum steht, dass sich immer wieder blitzartig und oft genug von den Protagonisten ungewollt, Destruktives entfaltet. Dann werden Unbeteiligte oft zu Zeugen eines Geschehens, in dem offenbar zwei Menschen zumute ist, als wären sie beseitigt worden.

Aber: Beide sind noch da! In der materiellen Welt. Und darüber bin ich sehr froh. Zuweilen aber verlässt dann einer unsere gemeinsame virtuelle Welt. Und das finde ich sehr schade.

Zum Schluss an den Anfang

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von welchen Überzeugungen gilt es nun, sich zu verabschieden? Das kann jeder nur individuell für sich selbst beantworten, weil nur wir selbst sie kennen – wenn wir sie denn kennen. Wenn nicht, ist es schon schwer, sie kennen zu lernen. Aber damit wäre dann der Weg frei für den nächsten Schritt.

Wir alle hier sitzen immer wieder einmal in einer Falle, wie mir scheinen will. Tun so, als ob wir eine Enzyklopädie erstellen – was ja auch nicht verkehrt ist –, wollen aber vielleicht nicht immer wahrhaben, wie gefährlich das geworden ist im Vergleich zum Brockhaus, Meyer's und wie sie alle heißen. Die konnten fröhlich über Menschen aus oder Kulturen in anderen Ländern schreiben, ohne von den Menschen in diesen Ländern behelligt worden zu sein – je weiter wir zurückgehen im vorigen Jahrhundert, um so eher. Denn die Anderen konnten davon weder wissen noch sich wehren. In unserer Enzyklopädie aber, die weltweit gelesen werden kann, rufen wir jeden, aber auch wirklich jeden Konflikt auf den Plan, den es auf der Welt gibt. Hier prallen kulturelle Konflikte – und das sind die heftigsten – aufeinander, wie sonst kaum an einem Ort. Hat Papa Wales das bedacht? WP hat keine Mama! Hätte der Papa sich ne Mama zur Zeugung dieses Kindes geholt, wäre vielleicht Manches anders gelaufen, weil die Damen doch meist – von Ausnahmen abgesehen – ganz besonders um die Brut und ihr Gedeihen besorgt sind. Auch hätte er vorher mit Steven Spielberg sprechen können. Der wusste, als er seine Shoah Foundation gründete, was er da tat. Und hat viel Geld reingebuttert, um zu verhindern, dass die Zeitzeugen retraumatisiert und die Kameraleute und andere Mitarbeiter mit dem Leid nicht fertig würden. Wie werden wir fertig mit dem Leid, dem wir täglich – und oft genug im Gewand der Destruktivität – begegnen?

Das angekündigte Zitat

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es stammt aus einer der Nazareth-Konferenzen und ich zitiere aus dem u.g. Buch, S. 150-151 die Deutung des Staff auf dem Gipfel des Konfliktes und die Verarbeitung dieser Deutung durch eine Teilnehmerin.

Der Staff: „Die Teilnehmer, die zu dieser Konferenz gekommen sind, haben sich in eine schmerzhafte Situation gebracht, die als grausam erlebt werden kann. Das führt zu größerer Abhängigkeit vom Staff, der doch alles aufnehmen sollte, zusammen mit Ängsten, ob er es kann, und mit Enttäuschungen wegen ungenügender Unterstützung. Diese ängstigenden Vorstellungen könnten zu tun haben mit unerwarteten, aber wirksamen Veränderungen im eigenen Identitätsgefühl und mit der Angst, wertgeschätzte Teile der eigenen Identität aufzugeben wie die Rolle des Opfers (bei den Israelis) oder die Schuld der Täter (bei den Deutschen).“

Darauf eine Teilnehmerin: „Damit hatte der Staff, wie mir scheint, etwas Ungeheuerliches ausgesprochen: dass nämlich die Rolle des Opfers bei den Israelis und die Schuld der Täter bei den Deutschen ‚wertgeschätzte‘ Teile der eigenen Identität seien. Das anzuerkennen ist schwer. Die Deutung zieht in Betracht, diese Teile der Identität könnten aufgegeben werden. Aber was dann? Würde das nicht bedeuten, dass sich die jüdische Gruppe desidentifizieren müsste von der Opferrolle und sich die nicht jüdische, deutsche Gruppe desidentifizieren müsste von der Schuld der Täter? Hieße das nicht, sich in tiefem Sinne zu trennen von den Eltern, die doch, nicht nur in der Welt der inneren Objekte, sondern oft auch im wirklichen Leben, als Ort zur Verfügung stehen mussten, an dem eigene Vernichtungsängste bzw. -wünsche unbewusst gut untergebracht werden konnten? Wohin mit diesem Erleben, wenn es seinen Ort verlöre? Was hätte das für Folgen, für einen selbst, aber auch für die Begegnung mit den anderen? Wird nicht, wer ein Tabu berührt, selbst zum Tabu? Bange Fragen, die diese Deutung aufgeworfen haben könnte, und noch viel mehr davon sind vorstellbar.“

Könnte es sein, dass diese Deutung uns hier in der WP etwas sagt über unser Verhältnis zueinander und auch zu jenen, die gern als „die da oben“ bezeichnet werden?

©️ Andrea014 (Diskussion) 14:57, 3. Okt. 2016 (CEST)

  1. H. Shmuel Erlich, Mira Erlich-Ginor, Hermann Beland: Gestillt mit Tränen – Vergiftet mit Milch. Die Nazareth-Gruppenkonferenzen. Deutsche und Israelis – Die Vergangenheit ist gegenwärtig. Mit einem Vorwort von Erzbischof Desmond M. Tutu (= Bibliothek der Psychoanalyse). Psychozial, Gießen 2009, ISBN 978-3-89806-765-2 (psychosozial-verlag.de [abgerufen am 31. Mai 2016] Rezensionen auf der Verlagsseite).