Diskussion:Friedrich Bernhard Gottfried Nicolai

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Spiel Blinde-Kuh 1803

Der ungarische Gauß-Schüler Peter Paul Tittel (1784–1831), Direktor der Sternwarte Erlau und der Sternwarte Ofen, besuchte auf einer Studienreise nach Paris Nicolai auf seiner Sternwarte in Mannheim. Er schreibt am 12.4.1817 aus Paris an Gauß:

„[...] Erst in Heidelbergs anmuthigen Gegenden wurd' ich heiter, und endlich in Mannheim, wo alles lebt, in der freundschaftlichen Nachbarschaft des herzlich guten Nikolai's völlig aufgeräumt. Aus der Fülle der Seligkeit, womit dieser beneidenswerthe Erdensohn vom Himmel begabt ist, erhielt ich auch eine mässige Dosis. Die ausgezeichnete Gefälligkeit, so er mir während meinem sechstägigen Aufenthalte bei Ihm zeigte, kann ich nicht dankbar genug rühmen. Aus dem Gasthofe, wo ich abstieg, musst' ich ausziehen, und bei Ihm Kost und Quartier nehmen. Ihr Wohl und Gesundheit tranken wir so oft, dass es manchmahl beinahe zu heiss wurde. Möchten Sie Ihn doch, wie er sicher hofft, mit Herren von Lindenau besuchen; dann wird erst Mannheims Himmel Geigenvoll werden: zugleich werden Sie aber mit eigenen Augen sehen, wie untadelhaft seine Lebensweise ist. Blinde Kuh? Gott behüth! Anstand, lauter Anstand und astronomische Stille. Zwar sollen bisweilen Gesellschaften quicklustiger Damen sich aufdringen; ich war kaum drei volle Stunden da, als ich einer solchen beiwohnte, aber zur Steuer der Wahrheit muß ich bekennen: sie sprachen so leise, dass ich nur dann ein Paar Worte vernehmen konnte, wenn ich im Zuge des Windes stand: und diese Modestie, gleichwohl seltener Damen Erbschaft, soll imer beobachtet werden, was ich auch sehr gern glauben will; denn als bald darauf ein anderer etwas wilderer Schwarm die Stiegen hinauf trippelte, so gieng Nikolai ganz unmuthig hinauss, und nachdem er Ihnen oben alles gezeigt hat, was sie begehrten, so kehrte er eben so aufgebracht in die Stube zurücke und versicherte mich, er wäre des Besuches wegen böse gewesen: was ich wieder nicht darf bezweifeln, weil er in nicht minder ernsthaften Ton sprach, als das ist, in dem man die Secunden zu zählen pflegt. Kurzum, diess alles hat nichts zu sagen, seine Grundsätze sind felsenfest, und er verhält sich vis à vis des Feuers, wie der unverbrennbare Spanier. Wahrhaftig, ich war nicht wenig erbaut bei Ihm.“

Die Mannheimer Sternwarte wurde von der guten Gesellschaft oft als Aussichtsturm benutzt. Nicolai's Vorgänger H.C. Schumacher hatte mit Besucherinnen einmal Blinde Kuh gespielt und war dabei unter den Tisch gekrochen.

Siegmund Günther schreibt 1886 in Allgemeine Deutsche Biographie, Bd.23, S.590f.

Nicolai: Friedrich Bernhard Gottfried N., Astronom, geb. am 25.Oktober 1793 zu Braunschweig, † am 4.Juli 1846 zu Mannheim. Ueber das sehr gleichmäßig verlaufene Leben Nicolai's ist wenig zu berichten; er studierte in Göttingen und übernahm dann 1813 eine Adjunctenstelle an der Sternwarte auf dem Seeberg, die er drei Jahre lang bekleidete, ging aber dann als Director an die großherzoglich badische Sternwarte in Mannheim über und verwaltete dieses Amt durch volle dreißig Jahre bis zu seinem Tode. Er war als Beobachter und Rechner unter seinen Zeitgenossen sehr geschätzt. Selbst sein strenger Lehrer Gauß, dessen Unnahbarkeit viel beklagt ward, bewahrte seinem ehemaligen Schüler eine aufrichtige Zuneigung. Zeuge deß ist eine interessante Serie von Briefen, die Gauß an N.~gerichtet und die unlängst ein Nachfolger des letzteren mit Zustimmung seiner beiden noch lebenden Söhne herausgegeben hat. Leider ist der Briefwechsel kein vollständiger, auch hält er sich an sehr enge begrenztes Gebiet, indem darin fast nur von jenen Mondbeobachtungen die Rede ist, die seit 1819 auf Nicolai's Anregung hin auf vielen deutschen Observatorien planmäßig angestellt wurden. Allein Jedermann wird einräumen, daß die Sprache, welche Gauß in diesen Briefen führt, eine ganz andere ist als diejenige, welche wir aus seiner Correspondenz mit Schumacher kennen. Was Nicolai's selbstständige Arbeiten anlangt, so sind dieselben zum kleineren Theile in der von Bohnenberger und v. Lindenau herausgegebenen Zeitschrift, zum weitaus größeren aber in Schumachers "Astronomischen Nachrichten" zu finden. Zumal deren 3., 4., 5., 10. und 12. Band kommen in Betracht. Großenteils sind es Planeten und Kometenbeobachtungen, von welchen die Rede ist, doch findet sich mit Vorliebe mit der Berechnung der Bedeckungen, welche ein Stern durch den vor ihm vorüberziehenden Mond erleidet, und wies wohl als der Erste auf die Fehler hin, welche für den bezüglichen Calcul aus dem Umstande sich ergeben, daß der Rand des Mondes keine glatte, sondern eine vielfach ausgezackte Linie ist. Er entwickelte auch eine Formel zu dem Zwecke, um aus correspondirenden Beobachtungen des Mondes an zwei verschiedenen Punkten der Erdoberfläche die Längendifferenz dieser Orte zu erhalten, und wies nach, daß diese seine eigene Formel mit einer bereits bekannten aber weit verwickelteren von Baitz dem Sinne nach identisch sei. Hatte sich N. schon bei dieser Gelegenheit als einen sehr gewandten und scharfsinnigen Rechner bethätigt, so legte er auch noch sonst mehrfach sein Interesse für Untersuchungen auf dem Gebiet der reinen Mathematik an den Tag. Er schrieb über Reihenentwicklungen, lehrte mit Hülfe derselben die Auswerthung gewisser sehr complicirter rational-gebrochener Integralfunctionen, und bemühte sich darum, den sogenannten Integrallogarithmus durch Berechnung von Tafeln u.s.f. zur Anerkennung als selbstständige analytische Transcendente zu verhelfen. Obwohl mit dieser Function und insbesondere mit der Ermittelung der sogenannten "Konstante des Integrallogarithmus" bereits mehrere hervorragende Mathematiker, wie L.Euler, Mascheroni, Soldner u.a. sich beschäftigt hatten, so erhielt deren Theorie dich eben erst durch die Arbeiten unseres N. den richtigen Abschluß.

Neuer Nekrolog der Deutschen, 24.Jahrgang, 1.Theil – Astronomische Nachrichten, 25.Band – Valentiner, Briefe von C.F. Gauß an B.N., Karlsruhe 1877.“

Heinrich Christian Schumacher schreibt in Astronomische Nachrichten 25, Nr.582, (1847), S.91f.

F.B.G. Nicolai. Am 4ten Julius d.J. starb an den Folgen eines Schlagflusses der Director der Mannheimer Sternwarte, Friedrich Bernhard Gottfried Nicolai, in seinem 53ten Jahre, viel zu früh für die Wisenschaft und seine Freunde, die mit der herzlichsten Liebe an ihm hingen.

Er war in Braunschweig am 25ten October 1793 geboren, und ward von seinen Eltern für den geistlichen Stand bestimmt. In der That hörte er in seinem ersten Semester in Göttingen, wohin er 1811 kam, einige theologische Collegia, bald aber, als er das Glück hatte seinem großen Landsmanne Gauss bekannt zu werden, siegte die angeborene Neigung zu mathematischen Studien, denen er von diesem Augenblicke an alle seine Kräfte widmete. Ausgezeichnete Anlagen durch Neigung und ernsten Fleiß unterstützt und von einem solchen Lehrer geleitet, mußten sich glücklich entwickeln, auch kann man in der Schärfe und Klarheit der Begriffe so wie in der Genauigkeit und, wenn das Wort hier gebraucht werden darf, in der Sauberkeit der Ausführung die sich in allen seinen Arbeiten zeigt, die Schule, in der Nicolai gebildet ward, nicht verkennen. Schon im Jahr 1813 kam er als Adjunct auf die Seeberger Sternwarte und erhielt dort von dem Herzoge Auguste von Gotha 1816, in seinem 23ten Jahre, das Prädikat eines Professors. In dem selben Jahre ward er, als der Herausgeber dieser Zeitschrift die Mannheimer Sternwarte verlassen hatte, dorthin als Director berufen, und blieb dort bis zu seinem Tode.

Im Jahre 1822 verheirathete er sich mit der Wittwe des Großherzoglich-Hessischen Obristen Grafen v. Leiningen, die er nebst zwei Söhnen, bereits angehenden Staatsdienern, und zwei jüngeren Töchtern hinterließ. Das Glück dieser Ehe ward nur durch den Tod einer sehr begabten älteren Tochter gestört, die er in ihrem 21ten Jahre verlor. Von seinen äusseren Lebens-Umständen ist vielleicht noch anzuführen, daß er im Jahre 1822 zum Rath, und im Jahre 1831 zum Hofrath ernannt ward.

Seine früheren astronomischen Arbeiten finden sich in der monatl. Correspondenz und v. Lindenau's und Bohnenberger's Zeitschrift. Bei weitem mehr lieferte er aber für die Astronomischen Nachrichten, deren erste Nummer schon einen Aufsatz von ihm über die Bestimmung der Längendifferenz zweier Orte aus Beobachtungen der Rectascensionsunterschiede des Mondes von benachbarten, im voraus bestimmten Sternen enthielt, durch den er diese seitdem auf den meisten Sternwarten eingeführte Beobachtungen in's Leben rief. Die Astron. Nachr. verdanken ihm etwa 80 Mittheilungen, von denen sich die meisten mit Cometen beschäftigen, die für ihn, wie für Olbers, Lieblingsgegenstände seines Forschens waren. Er beobachtete jeden neuen Cometen, und diese Beobachtungen, alle mit dem Kreis-Micrometer gemacht, gehören zu den besten ihrer Art die wir haben. Ebenso zeichnen sich die von ihm berechneten Bahnen durch verständige Bestimmung der Gränzen für die Genauigkeit aus, bis zu welcher er sie ausfeilte. Er strebte nie nach eingebildeter Schärfe, scheute aber keine Arbeit um die Schärfe, welche aus den Beobachtungen verbürgt werden konnte, auch durch seine Rechnung zu erhalten.

Sein liebenswürdiger Charakter machte Jeden, mit dem er in Berührung kam, zu seinem Freunde. Heiter, versöhnlich und mild in seinen Ansichten und Urtheilen, gewann er Aller Herzen. Zu den näheren älteren Freunden, die um ihn trauern, gehören Gauss, v. Lindenau und Encke, denen sich der Herausgeber der Astronomischen Nachrichten in dieser Beziehung anschließen darf.“