ADP-Ribosylierung

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ADP-Ribose

Die ADP-Ribosylierung bezeichnet die Anfügung einer oder mehrerer ADP-Ribose-Einheiten an ein Protein.[1][2] Die ADP-Ribosylierung ist eine Form der reversiblen Modifikationen von Proteinen, die an vielen zellulären Prozessen beteiligt ist, darunter Zellkommunikation, DNA-Reparatur, Steuerung von Genen und programmierter Zelltod.[3][4] Eine fehlerhafte ADP-Ribosylierung wurde mit einigen Krebsarten in Verbindung gebracht.[5] Die ADP-Ribosylierung ist auch die Grundlage für die Toxizität mancher bakterieller Verbindungen wie Choleratoxin, Diphtherietoxin und Andere.[6]

Geschichte der Entdeckung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der erste Hinweis auf eine ADP-Ribosylierung tauchte Anfang der 1960er Jahre auf. Zu dieser Zeit beobachteten Pierre Chambon und Mitarbeiter den Einbau von Adenosintriphosphat (ATP) in Hühnerleberkernextrakt.[7] Nach umfangreichen Untersuchungen der säureunlöslichen Fraktion konnten mehrere verschiedene Forschungslabore ADP-Ribose, abgeleitet von NAD+, als eingebaute Gruppe identifizieren. Einige Jahre später wurden die für diesen Einbau verantwortlichen Enzyme identifiziert und erhielten den Namen Poly(ADP-Ribose)polymerase. Ursprünglich wurde angenommen, dass es sich bei dieser Gruppe um eine lineare Folge von ADP-Ribose-Einheiten handelt, die über eine glykosidische Ribosebindung kovalent verbunden sind. Später wurde berichtet, dass alle 20 bis 30 ADP-Reste eine Verzweigung auftreten kann.[8]

Das erste Auftreten einer Mono(ADP-Ribosyl)ierung trat ein Jahr später während einer Toxinstudie auf: Es wurde gezeigt, dass das Diphtherietoxin von Corynebacterium diphtheriae für seine vollständige Wirksamkeit von NAD+ abhängig ist,[9] was zu der Entdeckung der enzymatischen Konjugation einer einzelnen ADP-Ribosegruppe durch die Mono(ADP-Ribosyl)transferase führte.

Ursprünglich wurde angenommen, dass es sich bei der ADP-Ribosylierung um eine posttranslationale Modifikation handelt, die ausschließlich an der Genregulation beteiligt ist. Als jedoch mehr Enzyme mit der Fähigkeit zur ADP-Ribosylierung von Proteinen entdeckt wurden, wurde die multifunktionale Natur der ADP-Ribosylierung deutlich. Das erste Säugetierenzym mit Poly(ADP-Ribose)transferase-Aktivität wurde Ende der 1980er Jahre entdeckt. Für die nächsten 15 Jahre wurde angenommen, dass es das einzige Enzym sei, das in der Lage sei, eine Kette von ADP-Ribose in Säugetierzellen anzufügen.[10] In den späten 1980er Jahren wurden ADP-Ribosylcyclasen entdeckt, die die Addition von zyklischen ADP-Ribosegruppen an Proteine katalysieren. Schließlich wurde entdeckt, dass Sirtuine, eine Familie von Enzymen, die auch NAD+-abhängige Deacylierungsaktivität besitzen, auch Mono(ADP-Ribosyl)transferase-Aktivität besitzen.[11][12]

Katalytische Mechanismen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Quelle von ADP-Ribose für die meisten Enzyme, die diese Modifikation durchführen, ist der Redox-Cofaktor NAD+. Bei dieser Transferreaktion wird die N-glykosidische Bindung von NAD+, die das ADP-Ribose-Molekül und die Nikotinamidgruppe verbindet, gespalten, gefolgt von einem nukleophilen Angriff durch die Seitenkette der Zielaminosäure. (ADP-Ribosyl)transferasen können zwei Arten von Modifikationen durchführen: Mono(ADP-Ribosyl)ierung und Poly(ADP-Ribosyl)ierung.

Mono(ADP-Ribosyl)ierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mono(ADP-Ribosyl)transferasen katalysieren üblicherweise die Addition von ADP-Ribose an Argininseitenketten unter Verwendung eines hochkonservierten R-S-EXE-Motivs des Enzyms.[13] Die Reaktion verläuft durch Aufbrechen der Bindung zwischen Nicotinamid und Ribose unter Bildung eines Oxoniumions. Als Nächstes fungiert die Arginin-Seitenkette des Zielproteins als Nukleophil und greift den elektrophilen Kohlenstoff neben dem Oxoniumion an. Damit dieser Schritt stattfinden kann, wird das Arginin-Nukleophil durch einen Glutamatrest am katalysierenden Enzym deprotoniert. Ein weiterer konservierter Glutamatrest bildet eine Wasserstoffbrücke mit einer der Hydroxylgruppen an der Ribosekette, um diesen nukleophilen Angriff weiter zu erleichtern. Durch die Spaltungsreaktion wird Nicotinamid freigesetzt. Die Modifikation kann durch (ADP-Ribosyl)hydrolasen rückgängig gemacht werden, die die N-glykosidische Bindung zwischen Arginin und Ribose spalten, um ADP-Ribose und unmodifiziertes Protein freizusetzen; NAD+ wird durch die Rückreaktion nicht wiederhergestellt.

Poly(ADP-Ribosyl)ierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hauptartikel: Poly(ADP-Ribose)-Polymerase

Poly(ADP-Ribose)Polymerasen (PARPs) kommen hauptsächlich in Eukaryoten vor und katalysieren die Übertragung mehrerer ADP-Ribose-Moleküle auf Zielproteine. Wie bei der Mono(ADP-Ribosyl)ierung ist NAD+ die Quelle der ADP-Ribose. PARPs nutzen eine katalytische Triade von His-Tyr-Glu, um die Bindung von NAD+ und die Positionierung des Endes der vorhandenen Poly(ADP-Ribose)-Kette auf dem Zielprotein zu erleichtern. Das Glu erleichtert die Katalyse und die Bildung einer (1''→2') O-glykosidischen Bindung zwischen zwei Ribosemolekülen. Es gibt mehrere andere Enzyme, die Poly(ADP-Ribose)-Ketten erkennen, sie hydrolysieren oder Verzweigungen bilden. Über 800 Proteine wurden mit dem lose definierten Poly(ADP-Ribose)-Bindungsmotiv versehen. Daher kann diese Modifikation zusätzlich zu der Veränderung der Konformation und Struktur des Zielproteins auch als Markierung zur Rekrutierung anderer Proteine oder zur Regulierung des Zielproteins verwendet werden.[14]

Spezifität der Aminosäuren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Viele verschiedene Seitenketten von Aminosäuren wurden als ADP-Ribose-Akzeptoren beschrieben. Aus chemischer Sicht stellt diese Modifikation eine Proteinglykosylierung dar: Die Übertragung von ADP-Ribose erfolgt auf eine Aminosäureseitenketten mit einem nukleophilen Sauerstoff, Stickstoff oder Schwefel, was zu einer N-, O- oder S-glykosidischen Bindung an die Ribose der ADP-Ribose führt.[15] Ursprünglich wurden saure Aminosäuren (Glutamat und Aspartat) als Hauptstellen der ADP-Ribosylierung beschrieben. Viele andere ADP-Ribose-Akzeptorstellen wie Serin,[16][17] Arginin,[18] Cystein,[19] Lysin,[20] Diphthamid,[21] Phosphoserin[22] und Asparagin[23] wurden in späteren Arbeiten identifiziert.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Peter Belenky, Katrina L. Bogan, Charles Brenner: NAD+ metabolism in health and disease. In: Trends in Biochemical Sciences. Band 32, Nr. 1, Januar 2007, S. 12–19, doi:10.1016/j.tibs.2006.11.006.
  2. Mathias Ziegler: New functions of a long‐known molecule: Emerging roles of NAD in cellular signaling. In: European Journal of Biochemistry. Band 267, Nr. 6, März 2000, S. 1550–1564, doi:10.1046/j.1432-1327.2000.01187.x.
  3. F Berger: The new life of a centenarian: signalling functions of NAD(P). In: Trends in Biochemical Sciences. Band 29, Nr. 3, März 2004, S. 111–118, doi:10.1016/j.tibs.2004.01.007.
  4. D. Corda: NEW EMBO MEMBER'S REVIEW: Functional aspects of protein mono-ADP-ribosylation. In: The EMBO Journal. Band 22, Nr. 9, 1. Mai 2003, S. 1953–1958, doi:10.1093/emboj/cdg209, PMID 12727863.
  5. Emanuele S. Scarpa, Gaia Fabrizio, Maria Di Girolamo: A role of intracellular mono‐ ADP ‐ribosylation in cancer biology. In: The FEBS Journal. Band 280, Nr. 15, August 2013, S. 3551–3562, doi:10.1111/febs.12290.
  6. K M Krueger, J T Barbieri: The family of bacterial ADP-ribosylating exotoxins. In: Clinical Microbiology Reviews. Band 8, Nr. 1, Januar 1995, S. 34–47, doi:10.1128/CMR.8.1.34, PMID 7704894.
  7. P. Chambon, J.D. Weill, P. Mandel: Nicotinamide mononucleotide activation of a new DNA-dependent polyadenylic acid synthesizing nuclear enzyme. In: Biochemical and Biophysical Research Communications. Band 11, Nr. 1, April 1963, S. 39–43, doi:10.1016/0006-291X(63)90024-X.
  8. OSAMU HAYAISHI, KUNIHIRO UEDA: Adp-Ribosylation Reactions. Elsevier, 1982, Poly- and Mono(ADP-ribosyl)ation Reactions: Their Significance in Molecular Biology, S. 3–16, doi:10.1016/b978-0-12-333660-6.50006-0.
  9. R. J. Collier, A. M. Pappenheimer: STUDIES ON THE MODE OF ACTION OF DIPHTHERIA TOXIN. In: The Journal of Experimental Medicine. Band 120, Nr. 6, 1. Dezember 1964, S. 1019–1039, doi:10.1084/jem.120.6.1019, PMID 14238922.
  10. Paul O. Hassa, Sandra S. Haenni, Michael Elser, Michael O. Hottiger: Nuclear ADP-Ribosylation Reactions in Mammalian Cells: Where Are We Today and Where Are We Going? In: Microbiology and Molecular Biology Reviews. Band 70, Nr. 3, September 2006, S. 789–829, doi:10.1128/MMBR.00040-05, PMID 16959969.
  11. Roy A. Frye: Characterization of Five Human cDNAs with Homology to the Yeast SIR2 Gene: Sir2-like Proteins (Sirtuins) Metabolize NAD and May Have Protein ADP-Ribosyltransferase Activity. In: Biochemical and Biophysical Research Communications. Band 260, Nr. 1, Juni 1999, S. 273–279, doi:10.1006/bbrc.1999.0897.
  12. Johannes Gregor Matthias Rack, Rosa Morra, Eva Barkauskaite, Rolf Kraehenbuehl, Antonio Ariza, Yue Qu, Mary Ortmayer, Orsolya Leidecker, David R. Cameron, Ivan Matic, Anton Y. Peleg, David Leys, Ana Traven, Ivan Ahel: Identification of a Class of Protein ADP-Ribosylating Sirtuins in Microbial Pathogens. In: Molecular Cell. Band 59, Nr. 2, Juli 2015, S. 309–320, doi:10.1016/j.molcel.2015.06.013, PMID 26166706.
  13. Sabrina Laing, Mandy Unger, Friedrich Koch-Nolte, Friedrich Haag: ADP-ribosylation of arginine. In: Amino Acids. Band 41, Nr. 2, Juli 2011, S. 257–269, doi:10.1007/s00726-010-0676-2, PMID 20652610.
  14. Roko Žaja, Andreja Mikoč, Eva Barkauskaite, Ivan Ahel: Molecular Insights into Poly(ADP-ribose) Recognition and Processing. In: Biomolecules. Band 3, Nr. 4, 21. Dezember 2012, S. 1–17, doi:10.3390/biom3010001, PMID 24970154.
  15. Qiang Liu, Bogdan I. Florea, Dmitri V. Filippov: ADP-Ribosylation Goes Normal: Serine as the Major Site of the Modification. In: Cell Chemical Biology. Band 24, Nr. 4, April 2017, S. 431–432, doi:10.1016/j.chembiol.2017.04.003.
  16. Orsolya Leidecker, Juan José Bonfiglio, Thomas Colby, Qi Zhang, Ilian Atanassov, Roko Zaja, Luca Palazzo, Anna Stockum, Ivan Ahel, Ivan Matic: Serine is a new target residue for endogenous ADP-ribosylation on histones. In: Nature Chemical Biology. Band 12, Nr. 12, 10. Oktober 2016, S. 998–1000, doi:10.1038/nchembio.2180, PMID 27723750.
  17. Juan José Bonfiglio, Pietro Fontana, Qi Zhang, Thomas Colby, Ian Gibbs-Seymour, Ilian Atanassov, Edward Bartlett, Roko Zaja, Ivan Ahel, Ivan Matic: Serine ADP-Ribosylation Depends on HPF1. In: Molecular Cell. Band 65, Nr. 5, März 2017, S. 932–940.e6, doi:10.1016/j.molcel.2017.01.003, PMID 28190768.
  18. Sabrina Laing, Friedrich Koch-Nolte, Friedrich Haag, Friedrich Buck: Strategies for the identification of arginine ADP-ribosylation sites. In: Journal of Proteomics. Band 75, Nr. 1, Dezember 2011, S. 169–176, doi:10.1016/j.jprot.2011.07.003.
  19. Lee J. McDonald, Joel Moss: Enzymatic and nonenzymatic ADP-ribosylation of cysteine. In: Molecular and Cellular Biochemistry. Band 138, Nr. 1-2, 1994, S. 221–226, doi:10.1007/bf00928465.
  20. Simon Messner, Matthias Altmeyer, Hongtao Zhao, Andrea Pozivil, Bernd Roschitzki, Peter Gehrig, Dorothea Rutishauser, Danzhi Huang, Amedeo Caflisch, Michael O. Hottiger: PARP1 ADP-ribosylates lysine residues of the core histone tails. In: Nucleic Acids Research. Band 38, Nr. 19, Oktober 2010, S. 6350–6362, doi:10.1093/nar/gkq463, PMID 20525793.
  21. N.J. Oppenheimer, J.W. Bodley: Diphtheria toxin. Site and configuration of ADP-ribosylation of diphthamide in elongation factor 2. In: Journal of Biological Chemistry. Band 256, Nr. 16, August 1981, S. 8579–8581, doi:10.1016/s0021-9258(19)68883-6.
  22. J A Smith, L A Stocken: Chemical and metabolic properties of adenosine diphosphate ribose derivatives of nuclear proteins. In: Biochemical Journal. Band 147, Nr. 3, 1. Juni 1975, S. 523–529, doi:10.1042/bj1470523.
  23. D R Manning, B A Fraser, R A Kahn, A G Gilman: ADP-ribosylation of transducin by islet-activation protein. Identification of asparagine as the site of ADP-ribosylation. In: Journal of Biological Chemistry. Band 259, Nr. 2, Januar 1984, S. 749–756, doi:10.1016/s0021-9258(17)43521-6.